Seit dem 3. Oktober 1990 leben und arbeiten nun Ost- und Westdeutsche in einem Land zusammen. Mehr oder weniger gern diskutierter Streitpunkt ist dabei: Kann das als Erfolgsgeschichte verbucht werden. Die Antwort ist zum einen immer sehr persönlich – und eben unterschiedlich. Allgemein lässt sich feststellen, dass die ostdeutsche Ökonomie nach der „Wende“ kräftig wuchs – aber seit einigen Jahren in der wirtschaftlichen Potenz bei rund 78 % des altbundesdeutschen Niveaus stagniert, in den jüngsten Jahren sogar wieder leicht zurückfällt.
Das Problem der nötigen „kritischen Masse“ lässt sich nicht mit „Soli“ und Subventionen beheben. In den neuen Bundesländern mangelt es als Spätfolge der deutschen Teilung insbesondere an großen Konzernzentralen und an Forschung & Entwicklung. Statt Maschinenhäusern und „Wissenszentren“ dominieren zwischen Rügen und Thüringer Wald nach wie vor oft schnell verschiebbare „verlängerte Werkbänke“. Das hat zur Folge, dass hier weniger feste, innovative Kerne zum Andocken für weitere Wirtschaftszweige entstehen und wachsen. Weniger Hochschulabsolventen gehen hier in Beschäftigung, weniger Patente werden angemeldet, weniger Gewerbesteuern und Investitionen kommen aus dem eigenen Kreislauf – und Westdeutschland zieht auch in der Digitalisierung in den Unternehmen eher wieder davon. Hinzu kommt ungünstig eine stärkere Alterung in Städten und Dörfern zwischen Sachsen und Mecklenburg.
Dagegen konnte die Lohnlücke durch politische Entscheidungen verkleinert werden. Während Beschäftigte zwischen Fehmarn und Freiburg 1991 im Schnitt brutto noch mehr als doppelt so viel Gehalt erhielten wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den neuen Bundesländern, verringerte sich der Abstand auf heute nur noch 17,4 Prozent im Mittel (2024). Entscheidend war hier die Festsetzung des Mindestlohns seit 2015, der zuvor bestehende Dumpinglöhne in Ostdeutschland nun offiziell unterbindet. Dieser Aufholprozess der Gehälter setzt sich (langsam) fort.
Bei der Erwerbstätigkeit von Frauen hat dagegen der Westen zum Osten aufgeschlossen. Inzwischen verdienen hier wie dort circa 74 % der Frauen ihr eigenes Geld. Weil zur Wende und in den Jahren danach aber noch deutlich mehr Frauen im Osten als im Westen erwerbstätig waren, ist die Gehaltskluft zwischen Männern und Frauen („Gender Pay Gap“) im Beitrittsgebiet viel kleiner als in den Altbundesländern…
(aus: haufe.de)